Vom Dorf Lauresham über den Heiligen Sand zum Heiligen Berg

Insgesamt gerade mal 50 km liegen die Stätten unserer diesjährigen Herren-Wanderung auseinander – dabei haben wir aber viele Jahrhunderte durchschritten, sogar ein Jahrtausend.

Wir waren unterwegs in Südhessen (Lorsch und Jugenheim), mit einem Abstecher nach Rheinhessen (Worms). Allerdings keine Wanderung wie früher, sondern mehr ein Erkunden vor Ort, trefflich vorbereitet von unserem Kollegen Dieter Emrich.

Erste Station Lorsch

Über das Kloster Lorsch an sich – seit 1991 UNESCO-Weltkulturerbe – braucht man nicht viel zu erzählen – das kennt jeder oder kann es nachlesen (Kloster Lorsch).

DSCN8662 Für diejenigen, die seit längerem nicht mehr dort waren, sei nachgetragen, dass die Außenarbeiten an der Torhalle beendet sind. Der Mörtel der Außenfassade ist untersucht und restauriert worden, die vier- und sechseckigen Steine (keine Platten, sondern echte Steine, die ’nach hinten weitergehen‘) sehen wieder schmuck aus.DSCN8615

Leider wird davor immer noch im Erdreich gegraben, so daß man vom schönen Marktplatz mit dem Rathaus keinen freien Blick hat.

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(Alle Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern)

Kommt man dagegen vom Parkplatz, erkennt man den von Bewuchs und Gestrüpp befreiten Hügel (eine eiszeitliche Düne) in übersichtlicher grüner Pracht (später mehr davon).

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Nun aber der Reihe nach. Denn wir waren nicht in erster Linie wegen des Klosters gekommen, sondern wegen einer Neu- und Besonderheit, nämlich des „Experimentalarchäologischen Freilichtlabors karolingischer Herrenhof Lauresham„. Was verbirgt sich hinter diesem Wortungetüm? Heut wollen wir es ergründen.

Auf dem Wege zu diesem „Labor“ passieren wir eine große Tabak(trocken)scheune – Lorsch hatte eine jahrhundertalte Tradition in Tabakanbau und -verarbeitung, wovon das bundesweit größte Tabakmuseum liebevoll Zeugnis ablegt. Seit einigen Jahren wird dort als Bürgerprojekt wieder Tabak angebaut und zu Zigarren verarbeitet („Lorsa Brasil“).

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Kurz dahinter stoßen wir auf Spuren des Vorläufers des Klosters Lorsch, das Kloster Altenmünster – idyllisch, aber auch gefährlich nah an der Weschnitz gelegen. Im Unterschied zur Ruine des Klosters Lorsch dürften die Mauer nicht historisch sein. Die Footprints genannten Landmarken geben die Dimensionen der Anlage wieder.
(Diashow)

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Nun aber ins „Labor“. Uns empfängt ein eher futuristisches Besucherzentrum, in dem man etwas über den Hintergrund dieses Projekts erfahren kann:

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Im neu geschaffenen Welterbe Areal Kloster Lorsch entstand seit August 2012 das „Experimentalarchäoloqische Freilichtlabor karolingischer Herrenhof Lauresham„. Als begehbares 1:1 Modell auf einer Fläche von 4,1 Hektar wird das komplexe, aber für das Verständnis der frühmittel- alterlichen Gesellschaftsstruktur so wichtige Thema Grundherrschaft erklärt. Dies erfolgt am Beispiel eines idealtypischen Zentralhofes des 8./9. Jahrhunderts.

Zudem wurde mit dem Freilichtlabor Lauresham ein Forum für die experimentalarchäologische Forschung geschaffen, um verschiedene handwerkliche und landwirtschaftliche Arbeitstechniken zu erproben.

Auf Grundlage aktueller Forschungserkenntnisse der Siedlungsarchäologie errichtete ein Team von erfahrenen Handwerkern unter wissenschaftlicher Begleitung ein Gebäudeensemble. Dieses umfasst Wohn-, Wirtschafts-, Stall- und Speicherbauten, sowie eine Kapelle. Hinzu kommen verschiedene landwirtschaftliche Nutzflächen – Wiesen, Äcker und Gärten – und die Haltung von Nutztieren, deren Erscheinungsbild eine Annäherung an das der mittelalterlichen Artgenossen ermöglichen soll.

Schauen wir es uns an:

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Eine Übersicht über das gesamte Gelände bietet dieser Plan:

Lauresham

Lauresham war übrigens der Name Lorschs im 11. und 12. Jahrhundert. Mit dem Kloster selbst hat dieses Dorf allerdings direkt nichts zu tun, es stand auch keineswegs früher an dieser Stelle. Vielmehr zeigt es nur die Typik eines karolingischen Herrendorfes.

Auf der „Kulturachse“ vom Kloster Altenmünster über das Freilichtlabor

Kulturerbe Lorsch

führt unser Weg vorbei an einem kleinen Feld blühender Tabakpflanzen DSCN8660wieder zum Klosterhügel.

Nach einem kurzen Vortrag über die Königshalle dürfen wir über eine Treppe im Seitenturm den Saal im ersten Stock betreten und die Reste der Fresken bewundern. Zweck und Funktion dieser Königs- oder Torhalle und damit auch dieses Raumes sind bis heute nicht überzeugend geklärt.

Auf dem grünen Hügel erwartet uns dann, was vom ehemaligen Benediktiner-Kloster sonst noch übrig geblieben ist, das Kirchenfragment. Die frühere Ausdehnung der Kirche und der Kreuzgang werden wieder durch Footprints verdeutlich, die man am besten im Luftbild erkennt (Bild  aus Google Earth).

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Neben diesem prächtigen Gebäude befindet sich derzeit ein Autowrack mit farbigen Scheiben. Die Lokalpresse beschreibt es als Kunst und bringt es in Zusammenhang mit der Deutschen Bischofskonferenz und gar dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Wer’s lesen mag: „Es ist Kunst!“

Kloster Lorsch

Kräutergarten LorschZu erwähnen bleibt der Klostergarten, angelegt und seit Jahrzehnten liebevoll betreut von Frau Adelheid Platte (in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts Leiterin des Rechtsamts des Kreises Bergstraße und als solche meine Ausbilderin in der Verwaltungsstation, ebenso wie der jetzt mitwandernde Kollege Dr. Dieter Emrich,  seinerzeit Leiter der Staatlichen Abteilung).Kräutergarten Lorsch

Der große, neu angelegte Kräutergarten liegt hinter der Zehntscheune. Hier findet man ausschließlich Medizinal- und Heilpflanzen, wie sie im Lorscher Arzneibuch vorkommen. Das Lorscher Arzneibuch (2013 ins UNESCO-Weltdokumentenerbe aufgenommen) steht für den Beginn der modernen Medizin in der westlichen Welt. Es enthält zu Beginn von einem anonymen Autor eine „Defensio artis medicinae“, eine Rechtfertigung der medizinischen Heilkunst, die bis dahin fragwürdig war, weil angeblich der göttlichen Ordnung widersprechend.

Wir beschließen diesen Besuch in der ‚Karolingerstadt‘ Lorsch und dem Welterbe Areal Kloster Lorsch in der einhelligen Überzeugung, dass es – auch für uns! – ein Segen ist, dass diese Auffassung sich durchgesetzt hat…

Einen Gesamtblick auf das Ensemble bietet der Gernsheimer Künstler Mario Derra:

Lauresham

 

Unser einhelliges Fazit:
Ein Besuch in Lorsch ist sehr zu empfehlen!

(Der Bericht über die diesjährige Exkursion wird demnächst fortgesetzt)